Eigentlich wollte ich mich zum Thema Fußball-EM nicht äußern. Doch nachdem ich jetzt die staatstragenden Reden von Nagelsmann und Co. hören musste, habe ich es mir anders überlegt.
Diese Sprüche über Gemeinsamkeit und Solidarität machten mich wütend.
„Nagelsmann wünschte sich, dass die "Symbiose" zwischen Nationalmannschaft und ihren Anhängern auch in andere, wichtigere Lebensbereiche in der Gesellschaft transportiert werde. Wie so oft wählte der sichtlich angefasste Bundestrainer ein alltägliches Beispiel. "Wenn ich dem Nachbarn helfe, die Hecke zu schneiden, ist er schneller fertig." "Wir haben es geschafft, die Menschen zu einen", sagte Nagelsmann.“
Grundgütiger! Was für ein Schwachsinn! Nichts wird nach dem Kick irgendwie nachhaltig „vereint“ sein!
Ich erlebte diesen Sommer des Grauens in Stuttgart ganz anders. In meiner Erinnerung bleiben Absperrgitter, unzählige, schwer bewaffnete Polizisten, ständiger Hubschrauberlärm und Staus, auch für die U-Bahnen.
Offensichtlich ist es ausschlaggebend, auf welcher Seite der Absperrgitter man steht. Nagelsmann war vermutlich auf der anderen Seite.
Für diesen Fußball-Spaß legte man einfach mal eine Stadt lahm. Menschen kamen nicht mehr zur Arbeit oder wieder nach Hause. Krankenwagen konnten Kliniken nicht einfach anfahren, Blutkonserven kamen verspätet an und sogar Taxifahrer hatten heftige Einbußen, da sie eigentlich die City gar nicht anfahren konnten.
Das alles ist keine Solidarität und hat mit Gemeinsamkeit nichts zu tun. Und jemand, der sich ausschließlich im Polizeikorso bewegt, sollte lieber still sein. Er hat nämlich keine Ahnung von der anderen Seite.
Solidarität kann doch nicht die Menschen ausschließen, die parallel zur EM einfach nur leben und arbeiten wollen.
Die Stuttgarter Polizei ist zufrieden mit sich. Aber ist es wirklich eine gute Leistung, wenn man ein Sportfest nur austragen kann, wenn man alles abriegelt? Ein friedliches Fest, das durch Hundertschaften der Polizei, Drohnen, Hubschrauber und vieles andere beschützt werden muss, ist doch eigentlich gar kein friedliches Fest. Es ist Selbstbetrug! Man macht sich und anderen etwas vor.
Der oft verwendete Begriff des „friedlichen Zusammenseins“ ist doch in der Realität so gar nicht mehr möglich. Das Wort friedlich würde ich eh nicht bei einer Sportart verwenden, in der es massenhaft „Hochrisikospiele“ gibt. Überhaupt ist Fußball ganz sicher kein Sport, bei dem das Wort „friedlich“ angebracht wäre. Bei anderen Sportarten sieht das ganz anders aus.
Die Leichtathletik-Weltmeisterschaft 1993 in Stuttgart war ein friedliches, buntes Sportfest ohne kriegsähnliche Zustände, in der sich Menschen aus aller Welt trafen und ihre Athleten anfeuerten.
Klar, so kann es heute nicht mehr sein. Die Welt ist anders geworden. Das weiß ich auch. Aber ist es dann tatsächlich nötig, eine solche EM so auszutragen?
Auch die enormen Kosten, die einzig und allein der Steuerzahler zahlen muss, sind doch wirklich nicht mehr zeitgemäß. Zumindest nicht für ein Fußballfest, das ganz sicher nicht alle Menschen interessiert.
Ich will wirklich keine Spaßbremse sein. Aber ich denke, man kann sich wenigstens mal Gedanken machen, ob ein solcher Event in dieser Form wirklich sinnvoll ist. Oder ob es andere Möglichkeiten der Austragung gäbe. Und auch, ob eine andere Finanzierung möglich wäre.
Ich jedenfalls bin froh und dankbar, dass zumindest für Stuttgart das Thema EM vorbei ist und die Polizei wieder etwas mehr das tun kann, wofür sie eigentlich da ist. Zumindest bis zum nächsten Fußballspiel.